Anstoß von Günther Jauch

  • Ohne den Millionenbetrag, den der Fernseh-Moderator und Bürger Potsdams für den erneuten Bau des Fortunaportals gestiftet hat, wäre das Stadtschloss wohl nie wiedererrichtet worden. Jauch gab die Initialzündung. Wie im Großen so im Kleinen: Auch die Idee, die Glocken wieder anzubringen, wäre ohne seine großzügige Vorleistung undenkbar gewesen.
  • Ich kam auf diese Idee, weil ich in >>Hans-Joachim Giersbergs Monografie über das Schloss die Skizze >>Jean de Bodts mit dem von Koren getragenen Glockenbaldachin entdeckte. Sie stammt ursprünglich aus der Dissertation von >>Hans-Joachim Kuke über de Bodt und gefiel mir so gut, dass ich bereits 2002 einen Sponsor dafür gewinnen wollte.
  • Der Potsdamer Industrieclub schien mir dafür der geeignete Partner zu sein. Deshalb trat ich als Leiter des gemeinnützigen Senftenberger Hanns von Polenz Instituts, eines inzwischen aufgelösten Kulturvereins, extra in den Industrieclub ein. Es gelang mir jedoch nicht, seine Mitglieder entsprechend zu begeistern. Aus guten Gründen lehnten sie ab. Sie hatten ein größeres, ihnen angemesseneres Projekt im Auge: die finanzielle Unterstützung des Wiederaufbaus der Potsdamer Garnisonkirche.
  • Die Idee ließ mich jedoch nicht los. Da ich auch danach niemanden fand, der in die Glocken investieren wollte, entschloss ich mich, die Sache selber in Angriff zu nehmen. Eine unerwartete Erbschaft, die ich zunächst für den Kauf eines Hauses in Senftenberg verwandt hatte und die nach Verkauf des Hauses an ein junges Senftenberger Ehepaar wieder flüssig geworden war, half mir weiter. Durch diesen Verkauf hat sich die Erbschaft in eine Art Senftenberger Liquidität verwandelt. Insofern kann man sagen, dass das Glockenprojekt in Potsdam mit Geld aus Senftenberg bezahlt wird.

Portal ohne Glocken?

  • Das Fortunaportal hat nur am Anfang, als es erbaut wurde, also 1700/01, über einen Glockenstuhl verfügt. Die Glocken läuteten beim Einzug des Königs,>> Friedrichs I., nach seiner Krönung in Königsberg. Und wohl auch zum Gottesdienst in der Schlosskapelle. Vielleicht läuteten sie danach noch einige Jahrzehnte lang. Keiner kann mit Bestimmtheit sagen, wann sie beseitigt wurden.
  • Manche behaupten, es sei geschehen, als der als 'Soldatenkönig' bekannt gewordene Sohn Friedrichs I., >>Friedrich Wilhelm I., seine Schlosskapelle den Hugenotten überließ. Das wäre 1723 bzw. spätestens 1735 der Fall gewesen. In dem Jahr wurde die Hof- und Garnisonkirche fertiggestellt. Zum Gottesdienst verließ der Hof die Kapelle und besuchte die Kirche außerhalb des Schlosses. Allerdings war der Soldatenkönig, der die Kirche mit dem berühmten Glockenspiel errichten ließ, ein ausgesprochener Glockenfreund. Wenig spricht dafür, dass ausgerechnet er sie von der Eingangspforte seines Schlosses abhängen ließ.
  • Mit größerer Wahrscheinlichkeit wurden sie ein Opfer des Schlossumbaus unter >>Friedrich II.. Unter dessen Regiment verschwand die Kapelle aus dem Schloss. Sie wurde durch königliche Wohnungen ersetzt. Die Hugenotten bekamen ihre eigene, die Französische Kirche, auf dem Bassinplatz. Auf die Schlosskapelle waren sie nicht weiter angewiesen. Warum also noch die Glocken läuten lassen. Andererseits war das Portal ursprünglich den Schlossuhren, die sich an der Kuppelbasis befanden, gewidmet, sodass die Glocken die Funktion gehabt hätten, die Stunden einzuläuten. Eine bestimmte Ungewissheit bleibt. Jedenfalls waren sie auf den zeitgenössischen Gemälden vom Alten Markt nicht mehr zu sehen.
  • Sie sind demnach seit nunmehr ca. zweieinhalb Jahrhunderten aus dem Bewusstsein der Potsdamer Bürger und der Schlossbewunderer aus aller Welt verschwunden. Niemand kennt das Portal anders als so, wie es jetzt wieder zu sehen ist (siehe Foto rechts). Auch >>Günther Jauch kannte es nicht anders. Deshalb hatte er offenbar von vornherein keine Glocken vorgesehen. Wenn sie schon auf den zeitgenössischen Gemälden fehlten, dann natürlich um so mehr auf den Fotos. Es gibt keins, das das Portal mit Glocken zeigen würde. Deshalb glaubt jeder, es gehöre sich so und sei von Anfang an so und nicht anders gewesen.

Glockenexistenz historisch erwiesen

  • Man muss deshalb auf die frühen Skizzen des Portal-Architekten Jean de Bodt zurückgreifen. Da wimmelt es nur so von Glocken. Mal sind es zwei, mal drei, mal eher in technischer Gestalt, mal eher in künstlerisch-spielerischer. Nie aber sind es weniger als zwei. Doch für den kritischen, durch unsere Denkmalschützer geschärften Verstand zählen Skizzen wenig. Da müssen schon handfestere Belege her. Glücklicherweise gibt es sie.
  • Der Potsdamer Hochbauingenieur und Orgelsachverständige >>Andreas Kitschke hat einer historischen Beschreibung der Verhältnisse in der Mark Brandenburg aus dem 18. Jahrhundert den Nachweis entnommen, dass es tatsächlich Glocken im Fortunaportal gegeben haben muss. Und zwar waren es drei. Diese Angaben enthält das zweibändige Werk von >>Johann Christoph Bekmann. Es ist in den Jahren 1751/54 in Berlin unter dem Namen seines Verwandten Ludwig Bekmann erschienen. Darin ist auch von sogenannten Tretern die Rede, die die Glocken in Schwung brachten.
  • Wem selbst dieser Nachweis nicht genug ist, weil er denken könnte, es mag ja vielleicht Treter gegeben haben, aber ob sie auch wirklich die Glocken getreten haben, stehe dahin - diesem und ähnlichen Zweiflern wird mit einer existierenden Zahlungsanweisung der Wind aus den Segeln genommen. Sie weist jedem Glockentreter vier Taler jährlich an. Womit belegt ist, dass es nicht nur die Treter, sondern auch die Objekte gab, die sie getreten haben. Um diese Nachweise hat sich, außer dem schon erwähnten Kitschke noch der ebenfalls bereits genannte Berliner Kunsthistoriker >>Hans-Joachim Kuke verdient gemacht.

Ursprüngliche Funktion der Glocken

  • Wie schon angedeutet, war das Fortunaportal auch eine Art Campanile, aber von französischer Baukunst inspiriert - ein Campanile ohne sichtbare Kirche. Die war im Schloss, als Kapelle, verborgen. Jene drei Glocken erklangen, wie gesagt, zuerst beim Einzug Friedrichs I. als frisch gekrönter König in Preußen. Sie mochten dann während der Gebete des Königs und seines Hofes geläutet haben. Vielleicht auch vor Beginn und am Ende des Gottesdienstes. So gesehen hätten die Glocken eine sakrale Funktion gehabt.
  • Dagegen könnten sich wiederum Bedenken erheben, kamen doch calvinistische Kapellen in der Regel ohne Glockentürme aus. Auch die Französische Kirche am Bassinplatz weist keinen auf. Wieso sollte ausgerechnet das Fortunaportal eine Ausnahme machen! Das wäre ein starker Einwand gegen ihre religiöse Bedeutung. Wenn man sich jedoch den von Bekmann angeführten Beleg anschaut, das Portal sei der Schlossuhr gewidmet gewesen. dann schwächt sich dieser Einwand ab.
  • Eine Schlossuhr war nicht einfach eine Uhr im heutigen Sinn. Außer dass sie die Stunde anzeigte, war sie ein emblematischer Ausdruck für etwas, das in Gottes Händen lag. Von ihm war die Zeit erschaffen worden, er war Herr über Leben und Tod. Jeder christliche Herrscher, wenigstens Friedrich I. und sein Sohn, erwies ihm die höchste Ehre. Die des Königs war nachrangig. Wie triumphal Friedrich I. auch im Jahre 1701 durch das Tor gezogen sein mochte, er wusste, dass der letzte Triumph einem Höheren gebührte als ihm. Selbst wenn also die Glocken im Triumphtor nicht campanileartig auf die Schlosskapelle verwiesen haben sollten, müsste ihr religiöser Bezug nicht geleugnet werden.
  • Eine zweite Bedeutung ist nicht weniger wichtig. Jean de Bodt, Hugenotte, war ein außergewöhnlicher Architekt. Einflüsse aus der zeitgenössischen französischen Baukunst sind nicht zu übersehen und damit der Sinn für Proportionen, für die harmonische Balance der einzelnen Partien des Baukörpers. Wer genau hinschaut, vermisst etwas im Galeriegeschoss. Er wird nicht gleich an Glocken denken, aber sein Blick wird über die leere Mitte stolpern.
  • Kunsthistorikern, zum Beispiel Friedrich Backschat aus den freißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, fiel auf, dass die Harmonie gestört ist. Sogar empfindlich. Die Eckpfeiler sind zu stämmig, die Säulen im Verhältnis zur Kuppel zu zart. Erst wenn die leere Mitte wieder gefüllt ist, verschwinden die Missverhältnisse, und das Auge des Betrachters wird von Wohlgefallen erfüllt.

Heutige Funktion

  • Um Wohlgefallen geht es weiterhin. Um gesteigertes Wohlgefallen. Um die Wiedererlangung einer Zierde. Und damit um die Beendigung des oben beschriebenen Missverhältnisses. Es stört die Augenlust. Der Brandenburger Landtag zieht in ein so prachtvolles Gebäude ein, dass ihm sein letzter äußerer Schliff am Herzen liegen sollte. Dieser bis in die jüngste Vergangenheit so hart umkämpften Fassade fehlen nur zwei, drei Dinge zur vollkommenen Schönheit: die Glocken, die dort anfangs hingen und vom Architekten auch so vorgesehen waren. So viel zu ihrer ästhetischen Funktion.
  • Dass es, jedenfalls für den Anfang, nicht drei, sondern nur zwei Glocken sein sollen, hängt mit ihrer gewandelten Bedeutung zusammen. Das Innere des Baus beherbergt weder wie damals eine Kapelle noch königliche Wohnungen, die unter Friedrich II. an ihre Stelle traten. Es sind vergleichsweise nüchterne Büroräume, in denen Brandenburger, vielleicht später auch Berliner Abgeordnete ihrer parlamentarischen Arbeit nachgehen. Damit hat sich der ursprünglich sakrale Bezug des Fortunaportals erledigt und mit ihm der Geläutcharakter der Glocken. Möglich ist, dass de Bodts anmutige Zweierlösung nicht zum Zuge kam, weil sich drei Glocken eher als zwei zum Läuten eignen. Vielleicht spielte auch der Trinitätsgedanke eine Rolle - das vermutet Pfarrer Manfred Schwarz aus Senftenberg.
  • Um gar nicht erst die Gefahr einer erneuten Sakralisierung heraufzubeschwören, habe ich mich für die Aufhängung von zwei Glocken entschieden, eine Lösung, die mir ästhetisch entgegenkommt, da mich die entsprechende Skizze des Architekten am meisten entzückt. Es handelt sich um relativ zierliche Glocken: die kleinere ist auf den Ton h'' gestimmt, die größere auf e'', die darunterliegende Quinte. Obwohl sie mit den Glockentönen der Nikolaikirche harmonisieren, um im Zweifelsfall keinen Missklang zu erzeugen, ist diese Abstimmung im Grunde genommen nicht erforderlich. Ein Konzert mit den Glocken der umliegenden Kirchen, zu denen ab 2017 auch die Garnisonkirche gehören soll, ist nicht beabsichtigt, weil der Landtag keine Kirche ist.
  • Erklingen sollten die beiden Glocken des Fortunaportals nicht zu religiösen, sondern zu politischen Zwecken: etwa wenn es im Landtag oder bei der Stadt Potsdam um die Durchsetzung von mehr Toleranz geht, wenn entsprechende Gesetze verabschiedet oder Verordnungen erlassen werden. Immer dann könnten die Potsdamer durch den heiteren Quinten-Klang daran erinnert werden, dass sie Bürger einer Hauptstadt sind, und zwar in doppelter Hinsicht: der Hauptstadt Brandenburgs und der Hauptstadt der Toleranz. Hier wurde 1685 mit dem Edikt von Potsdam die edle Tradition der Duldung von Minderheiten begründet. Damals, unter dem Großen Kurfürsten und seinen Nachfolgern, handelte es sich vorwiegend um religiöse, heute kommen andere Minderheiten hinzu, vor allem politisch Verfolgte.
  • Es ist wahr, dass die Glocken 1685 noch nicht erklingen konnten, dass sie also das Edikt von Potsdam musikalisch nicht umrahmten, da sie erst sechzehn Jahre später, zum Einzug Friedrichs I., angebracht wurden. Das kann jedoch kein Einwand gegen ihre einschlägige Nutzung sein. Die Glocken fügen sich als sakrale Bedeutungsträger nahtlos in die Geschichte des Ediktes ein. An diesem Zusammenhang soll auch die Inschrift Toleranzglocke von Senftenberg erinnern. Sie findet sich auf jeder einzelnen der beiden Glocken und verweist damit zugleich auf jenen Ort im Süden Brandenburgs, dem die Lösung eines verwandten Problems zu wünschen wäre. Industriekathedralen