Architektonische Verwandtschaft

  • Ludwig Bamberg, kenntnisreicher Chronist der Potsdamer Hof- und Garnisonkirche, hat in seinem einschlägigen Werk eine mir höchst willkommene Idee verbreitet. Auf der Suche nach Vorbildern der von Johann Philipp Gerlach 1730/35 errichteten Garnisonkirche wandte sich Bamberg zunächst sakralen Bauwerken zu. Mit Leichtigkeit wurde er in Ländern wie England, Holland und Italien fündig. Statt aber weiter in die Ferne zu schweifen, besann er sich auf Bauten in der Nähe. Ganz nah, nur einige hundert Mater weiter östlich, war seit 1701 ein kleiner Torbau zu bewundern: das Fortunaportal. Sein zierlicher Baukörper hatte auffallende Ähnlichkeit mit der Garnisonkirche. Zwar nicht mit der ganzen Kirche, wohl aber mit den oberen Geschossen,vor allem mit den letzten beiden (siehe Bild rechts).
  • Philipp Gerlach wurde 1679 in Spandau geboren. Er hatte bereits 1720/22 die turmlose Berliner Garnisonkirche errichtet und zugleich 1721/24 die Nikolaikirche in Potsdam. Beide Bauten schienen ihn dem König zu empfehlen, sodass sich Friedrich Wilhelm I. für ihn als Baumeister der Garnisonkirche entschied. Während des Baus der Nikolaikirche muss Gerlach immer wieder das Fortunaportal gesehen haben. Es lag schließlich direkt vor seiner Nase. Daraus leitet Bamberg nun die Frage ab, ob sich nur sakrale Gebäude als Vorbilder für Kirchen eigneten. Angesichts der partiellen Ähnlichkeit der beiden Bauten verneint er sie.
  • Was Gerlach am Fortunaportal aufgefallen sein könnte, sei, so Bamberg, die Eignung der einzelnen Bauelemente für größere Zwecke. Er zählt den Sockel mit dem Portal, die Quaderketten und die gekuppelten Wandpilaster dazu, dann die in die Öffnung gestellten Säulen und die Trophäengruppen. Doch nicht genug damit. Starkes Interesse müsse Gerlach, so der Chronist, neben der konvexen Haube an dem offenen Geschoss gezeigt haben. Es sei kein gewöhnliches, es sei ein Glockengeschoss! Noch mehr: Es nehme das Geschoss der Garnisonkirche mit dem berühmten Glockenspiel vorweg.
  • Auf völlig anderem Weg als dem der kunsthistorischen Untersuchung, fast intuitiv, gelingt Bamberg der schönste Nachweis für die Existenz der Glocken im Fortunaportal. Einen schöneren Beleg dürfte man kaum finden. So kann man sagen, dass, wenn es die Fundstelle im Werk von Johann Christoph Bekmanns 'Historischer Beschreibung der Verhältnisse der Mark Brandenburg' von 1751/54 nicht gäbe (Fortunaportal), der Hinweis Bambergs eine wunderbare Aushilfe wäre.
  • Nur mit dem Ausgangsgedanken Bambergs, das Fortunaportal sei ein unsakraler Baukörper, braucht man sich nicht zufrieden zu geben. Der Architekt Gerlach musste gar nicht unbedingt zu anderen als sakralen Vorbildern seiner Garnisonkirche Zuflucht nehmen, da das Fortunaportal eben kein ausschließlich weltlicher Bau war. Mit seinen Glocken reichte er mindestens in die sakrale Sphäre hinein. Vielleicht bot er sich Gerlach deshalb auch um so eher zur Nachahmung an.

Reformationsjahr 2017

  • Dreihundert Jahre nach Luthers Thesenanschlag, am 31. Oktober 1817, führte Friedrich Wilhelm III. die Preußische Union in seinem Land ein. Was seine Vorfahren noch mehr oder weniger streng auseinanderhielten: das lutherische und das reformierte Bekenntnis, fügte er nun zur einheitlichen Konfession der unierten Kirche zusammen. Der König war, anders als seine beiden Vorgänger auf dem preußischen Thron, ein religiöser Mensch. Doch das allein hätte ihn noch nicht zu diesem Schritt bewogen. Es war zugleich ein Akt der Liebe, Ausdruck der liebenden Erinnerung an seine 1810 verstorbene Gemahlin, Königin Luise, die im Gegensatz zu ihm lutherischen Glaubens war.
  • Schon zu ihren Lebzeiten litt der König darunter, mit seiner Frau nicht gemeinsam das Abendmahl einnehmen zu dürfen. An dessen Zeremonie und sakramentaler Bedeutung schieden sich die Geister jahrhundertelang. Doch in der Zwischenzeit hatten sich die konfessionellen Streitigkeiten erheblich abgeschwächt, was wohl in erster Linie der abnehmenden Kraft des Glaubens geschuldet war. Daher konnte Friedrich Wilhelm III. diesen Schritt nun wagen, ohne zu großen Zwist in der Bevölkerung zu säen. Die dreihundertste Wiederkehr des Reformationstages bot ihm die willkommene und längst überfällige Gelegenheit dazu. Er bekräftigte sie am 31. Oktober höchstpersönlich mit der Feier des Abendmahls in der Garnisonkirche - vor den anderen Kirchgängern - und lud alle Untertanen dazu ein, seinem Beispiel zu folgen.
  • Die Union von 1817 basierte auf bester preußischer Tradition. Sie hatte spätestens 1613 mit dem Wechsel Johann Sigismunds zum reformierten Glauben begonnen. Da der Hof in Berlin lutherisch blieb, war man täglich zur Tolerierung der unterschiedlichen Bekenntnisse gezwungen. So hatte Brandenburg bereits ein jahrzehntelanges Training wechselseitiger Duldung hinter sich, als der Große Kurfürst 1685 das Edikt von Potsdam proklamierte. Der Zusammenschluss zur Unierten Kirche unter Friedrich Wilhelm III. ist als ein weiterer Meilenstein in der Geschichte preußischer Toleranz anzusehen. Zweihundert Jahre danach, zum fünfhundertsten Jubiläum der Reformation, bietet sich erneut die Gelegenheit, die tradierte Linie fortzusetzen.
  • Am Reformationstag 2017 soll, wenn genügend private (und keine öffentlichen!)Spendengelder geflossen sind, der wiedererrichtete Turm der Garnisonkirche eingeweiht werden. Unter dem zugleich anspruchsvollen wie demütigen Motto der friedvollen Versöhnung mit den Opfern der beiden Weltkriege, vor allem des Zweiten, wird der Versuch gemacht, den bis heute umstrittenen Bau in einen Gedächtnisort und ein Bildungszentrum zu verwandeln: Gedächtnis nicht nur des Tags von Potsdam, sondern auch des Widerstands dagegen und vieles mehr. Das sollte jeden Gegner des Wiederaufbaus milde stimmen, zumal ein Gebäude nichts dafür kann, dass es einmal entweiht wurde.

Politische Dimension

  • Es wäre wunderbar, wenn der Brandenburger Landtag am Tag nach dem 31. Oktober 2017 zusammenträte und ein Neues Edikt von Potsdam verkündete, gleichsam eine Wiederauflage des ersten von 1685 unter veränderten Vorzeichen. Und wenn er bekräftigte, in seiner Politik der Toleranz nicht nachzulassen.
  • Die Toleranzglocken würden sich glücklich schätzen, die Verkündung mit ihren Klängen zu begleiten. Vielleicht wären sie bis dahin schon von den acht Koren umgeben, die den Glockenbaldachin auf ihren Schultern tragen. Das ist jedenfalls das Ziel des 'work in progress', als das ich die Sache ansehe.